Der Bundesrat

In ihren Reden benutzen Bundespräsident:innen nationale Narrative rege, um komplexe Themen mit bekannten Erzählungen zu verdeutlichen und Nähe zu vermitteln. Die Analyse der Neujahrsansprachen und 1. Augustreden der vergangenen 40 Jahre liefert einige spannende Erkenntnisse.

Was der Bundesrat sagt, hat Gewicht. Neujahrsansprachen und 1. Augustreden bieten denn auch einen optimalen Raum für die Rückbesinnung auf die eigenen Werte. Starke Botschaften und versöhnliche Worte prägen die Reden der Bundesrät:innen seit Jahrzehnten. Zentral ist dabei die Genese einer breit abgestützten Schweizer Identität.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Das Narrativ «Humanität & Solidarität» ist am dominantesten
  • Micheline Calmy-Rey und Doris Leuthard verwenden am meisten dominante nationale Narrative
  • Die Deutung des Narratives «Freiheitsliebende, wehrhafte Schweiz» im weiteren Sinne des Unabhängigkeitsschutzes massgeblich von Ueli Maurer geprägt
Für die inhaltsorientierte, qualitative Analyse der Neujahrsansprachen und 1.-August-Reden wurden insgesamt 81 Reden von 1972 bis 2021 ausgewertet. Die Bundesratsreden zeigen im Gebrauch der dominanten nationalen Narrative nicht nur Unterschiede aufgrund der Parteizugehörigkeit der jeweiligen Bundespräsident:innen. Die Verwendung der Narrative hat sich vereinzelt auch innerhalb von Parteien verändert.
Die Grafik zeigt die Verwendung der Narrative im Zeitverlauf.
Micheline Calmy-Rey und Doris Leuthard verwendeten verhältnismässig oft dominante nationale Narrative. Auf die Parteizugehörigkeit bezogen stach insbesondere die Bundesräte der SVP als Wenignutzer hervor – mit der grossen Ausnahme von Ueli Maurer.
Die Grafik zeigt die Verwendung der Narrative pro Bundesrät:in.
Eine eindrückliche Neubesetzung fand im Gebrauch des Narratives «Freiheitsliebende, wehrhafte Schweiz» statt. So hat sich die deutungsbezogene Verortung des Freiheitsgedankens stark von der gesellschaftlichen Freiheit abgewendet und wurde stattdessen vermehrt im weiteren Sinne des Unabhängigkeitsschutzes vermittelt. Diese Zäsur wurde massgeblich von Ueli Maurer getragen (siehe Reden zum Freiheitsgedanken).
Die Grafik zeigt die relative Verwendung der Narrative pro Partei.
Bei der thematischen Ausrichtung konnte vor allem beobachtet werden, dass sich das Narrativ «Humanität & Solidarität» am meisten Benutzer:innen erfreute. Bundespräsident:innen erinnern also besonders gerne an die humanitäre Tradition der Schweiz.
Die Grafik zeigt die Verwendung der Narrative insgesamt.
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Reden zum Freiheitsgedanken

Bundesrats-Reden bis 2011

1. August 1993, alt Bundesrat Adolf Ogi

«Die Schweiz kann sich eine Isolation nicht leisten. Die Schweiz ist keine Insel. Die Schweiz liegt im Herzen Europas. Sie ist eingebettet in eine weltweite Schicksalsgemeinschaft.»
«Dazu gehört unser solidarisches Engagement für die westeuropäische Völkergemeinschaft. Dazu gehört unsere Hilfe für die Dritte Welt, in der die Armut für Millionen Menschen unerträglich wird.

Ich weiss, die Frage liegt nahe: Warum sollen wir uns für Andere, für Fremde einsetzen? Aber die Andern sind nicht mehr die Andern. Und die Fremden sind nicht die Fremden. Denn die Freiheit in dieser Welt ist ebenso unteilbar wie die Gerechtigkeit.»

1. August 1989, alt Bundesrat Jean-Pascal Délamuraz

«Diese europäische Aufgabe, so faszinierend sie ist, darf uns jedoch nicht dazu verleiten, uns von der übrigen Welt abzuwenden, namentlich von der Dritten Welt, wo Hunger und Elend herrschen.

Schliesslich ist der Gotthard - und das ist mein dritter Grund - Symbol des Freiheitsdranges, der die Schweizerinnen und Schweizer von allem Anfang an und während siebenhundert Jahren beseelt hat.

In den vergangenen zwölf Monaten hat die Freiheit Fortschritte gemacht. Der Kampf für die Freiheit ist jedoch noch lange nicht zu Ende: Aus weiten Gebieten dieser Erde ist sie noch verbannt; an anderen Orten ist sie aufgeblüht, jedoch wieder erstickt worden.

Wir Schweizerinnen und Schweizer müssen mit wachem Sinn und voller Entschlossenheit die Freiheit bis zum letzten verteidigen, die Freiheit des Landes, die Freiheit des einzelnen, denn Gleichgültigkeit wäre das Ende.

Stellen wir uns in den Dienst der Freiheit, damit sie, und mit ihr die Menschenrechte und der Friede, sich nach und nach in der ganzen Welt durchsetze. Ich habe von Öffnung, Solidarität und Freiheit gesprochen.»

1. August 1985, alt Bundesrat Kurt Furgler

«Am Anfang des Bundes stand und steht der Wille zur Freiheit. [...] Das verspüren auch wir, wenn wir mit einem Blick in die Welt an die Hunderte und Aberhunderte von Millionen Menschen denken, die frei sein möchten und nicht frei sein können.

Als ich am vergangenen Samstag vom Tellspiel heimkehrte, empfand ich einmal mehr, dass die Geschichte unserer Eidgenossenschaft auch Bestandteil unserer persönlichen Geschichte ist.»

Bundesrats-Reden ab 2013

1. August 2019, alt Bundesrat Ueli Maurer

«Es sind Schweizer Werte. Die wichtigsten sind Freiheit und Sicherheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Wir könnten diese Werte unserer 700-jährige Geschichte politisch verschleudern und aufgeben. Das will wohl niemand, es wäre leichtsinnig.

Wir wollen im Gegenteil unser Erbe verbessern und es so unseren Kindern übergeben. Damit auch sie selbst bestimmen können und in Freiheit und Sicherheit leben. Das wird auch in Zukunft nicht einfach sein.»

1. August 2013, alt Bundesrat Ueli Maurer

«Wir dürfen stolz darauf sein, eine freiheitliche Ordnung zu haben, die den Bürgerinnen und Bürgern einmalig viele Rechte gibt. Das Volk bestimmt in allen wichtigen Fragen; das Volk gibt sich seine Gesetze selbst.

Auch das gehört zum Wesenskern der Schweiz. Schon im Bundesbrief steht, dass wir keine fremden Richter wollen. Wir sind mit diesem Grundsatz gut gefahren. Und vergessen wir auch nicht, dass der Erfolg unserer Wirtschaft nur dank dieser freiheitlichen Ordnung möglich ist.

Wir können froh sein, dass die Schweiz bis jetzt hat frei und unabhängig bleiben können; dass die Schweiz ganz offensichtlich ein Sonderfall ist, nämlich ein Sonderfall Freiheit und ein Sonderfall Wohlstand.

Auch wenn die Schweiz unter Druck steht, bin ich optimistisch für unsere Zukunft. Vorausgesetzt wir Schweizerinnen und Schweizer sind uns zumindest in einem einig: Dass die Werte der Schweiz nicht verhandelbar sind; dass wir unsere Freiheit und Unabhängigkeit niemals aufgeben werden.»
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